Ralf Rangnick beim Fanverband
Sportdirektor plaudert aus dem Nähkästchen
Am Montagabend folgte unser Sportdirektor Ralf Rangnick der Einladung des Fanverbandes von RB Leipzig und stellte sich zusammen mit Ulrich Wolter in illustrer Runde den Fragen der Mitglieder und Fans.
Bei aller Vorfreude auf dieses Ereignis war es nach der sonntäglichen und leider dritten, schweren Niederlage infolge für alle Beteiligten erst einmal kein leichter Gang. Dennoch und trotz klirrender Kälte zögerten die Mitglieder nicht, zahlreich zu erscheinen. In angenehmer Atmosphäre im „ausverkauften“ Haus der Heimatscholle – an diesem Abend eher Eisscholle, entwickelte sich bei vorab servierter Grillwurst!!! (die selbst bei gefühlten -15 Grad noch sehr gut schmecken kann) ein wirklich spannendes, interessantes, aufschlussreiches und immer sehr angenehmes Gespräch „aus dem Nähkästchen“ mit unserem, an diesem Abend im wahrsten Sinne des Wortes, sehr nahbaren Sportdirektors. Wie nahbar es wirklich werden sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt noch keiner ahnen. Insbesondere Pressesprecher Benjamin Ippoliti hätte sich wahrscheinlich nicht rechterhand neben Ralf Rangnick gesetzt, wenn er geahnt hätte, wie nah es wirklich zugehen würde. Da bekommt man im Eifer des Gefechts vom Sportdirektor auch schon mal einen kleinen „Klapps“ auf dem Hinterkopf, um Zivilcourage im Stadion zu veranschaulichen. Gott sei Dank war natürlich nichts gebrochen, das Eis dagegen spätestens ab diesem Zeitpunkt schon.
Das Wichtigste schon einmal vorab: Ante Rebic wird keinem mehr in und um Leipzig unter dem Weihnachtsbaum gelegt und Ralf Rangnick selbst versprach vorausschauend kein Inselwissen aufzubauen, um seinen potentiellen Nachfolger langsam den Übergang zu ermöglichen… also in so ca. dreißig Jahren.
Drama in zwei Akten
Natürlich führte am Anfang auch kein Weg an der Aufarbeitung des Spiels gegen den 1.FC Köln vorbei. Wer kennt sie nicht: die 80 Millionen Bundestrainer im Land oder eben die 33.000 potentiellen A-Lizenz-Trainer bzw. Fußballehrer (mich eingeschlossen) am Sonntag im Stadion? Da half natürlich sehr die Einschätzung eines Sportdirektors, der die Mannschaft, Trainer und Umstände wirklich kennt und einzuschätzen weiß. Ralf Rangnick tat dies auf seine altbekannte, professionelle Art und Weise. Den fragenden Blicken des Publikums folgte ein zustimmendes Nicken. Natürlich folgte einer herausragenden ersten Halbzeit, in der wir 3 oder sogar schon 4 zu 0 hätten führen müssen, eine absolut enttäuschende zweite, in der das Spiel dann auch verdient verloren ging. Das Spiel beschrieb lehrbuchmäßig zusammengefasst die bisherige Saison. Einerseits bedarf es Schöngeister, die ihre Chancen natürlich auch gern mal verwerten dürfen. Andererseits bedarf es aber gern auch mal Krieger und kleine, unangenehme, fightende Gennaro Gattusos auf dem Feld, um ein Momentum des Gegners wieder umzudrehen, und das Spiel trotz allem nach Hause zu bringen. Wir wissen natürlich alle wer gemeint war. Aber eines ist sicher: Gekämpft haben sie alle (im Rahmen ihrer zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Möglichkeiten). Aber schön zu sehen, dass wir potentiellen Aushilfstrainer auch nicht immer ganz so daneben mit unserer Einschätzung lagen und teilweise sogar ein gutes Gespür dafür haben.
Dortmund vor Augen
Im Ausblick auf das Spiel gegen Dortmund muss natürlich dafür gesorgt werden, dass wir die Leistungen der ersten 40 min des Kölnspiels wieder abgerufen bekommen und die eigenen Tugenden, Stärken und Mentalität zurückkehren. Und dann, aber auch nur dann, ist auch ein Sieg im nächsten, sehr entscheidenden Spiel möglich. Denn eines dürfen wir alle nicht vergessen, dass RB Leipzig in seiner erst zweiten Bundesligasaison steckt. Eine Leistung ist es daher auch schon, 10 Spieltage vor Schluss konstatieren zu können, mit dem Abstieg nichts mehr zu tun und wiederholt eine reelle Chance zum Erreichen der Champions League Plätze zu haben. „Das ist nicht selbstverständlich.“ Zum Vergleich hatten/haben andere Vereine (bis auf Bayern München) in so einer sehr ausgeglichenen Liga da ganze andere Probleme.
Wie geht es weiter?
Ziel in den nächsten zwei oder drei Jahren ist und bleibt es, weiterhin organisch zu wachsen, junge, hochveranlagte Spieler zu finden und diese schnell und erfolgreich zu entwickeln. In einem überhitzten Fußballmarkt, in dem insbesondere in England: „30 Mio. Euro Ablöse das neue Ablösefrei ist“, kann das nur der einzig vernünftige Weg sein. Ganz große Sprünge sind daher, unter Berücksichtigung der finanziellen Voraussetzungen und Beachtung des Financial Fair Plays, nicht möglich. Eine stetige Qualifikation zur Champion League wäre daher immer ein wichtiger Faktor und eine gute Voraussetzung, um diese Ziele zu erfüllen.
Kommt die Blackbox 2.0?
Eine entscheidende Rolle für ihn spielt dabei Paul Mitchell, der als einer „der kompetentesten Kaderplaner“ gilt und kürzlich als Head of Recruitment and Development verpflichtet werden konnte. Trotz der Tatsache, dass er selbst von einem Verein wie Arsenal London umworben war. Zwar war das Scouting in letzten Jahren schon hervorragend, dennoch geht es jetzt im speziellem auch darum, noch mehr Struktur hineinzubringen und sich einfach noch internationaler aufzustellen, um nicht nur mitzuhalten, sondern auch „Best in Class“ zu werden. Denn weiterhin gilt es, die Ousmane Dembélés und Co zu identifizieren und zu holen, bevor sie ihren großen Durchbruch schaffen. Gerade der englische Markt kann hier interessant werden, da die englischen Akademien sehr gut ausbilden, Talente aber häufig nicht den Weg in die erste Mannschaft finden, da immer weitere (meist schon fertige) Topstars verpflichtet werden. Gerade solche Chancen sollen mithilfe von Paul Mitchell genutzt werden, um weiterhin „schlaue Transfers“ zu tätigen.
Jugend forscht?
Das Argument, dass viele Probleme der Mannschaft ggf. gerade aus eben dieser Jugendlichkeit und damit Unerfahrenheit resultieren, lässt er dabei aber nicht ganz gelten. Denn ein Timo Werner kann bspw. trotz seines noch jungen Alters bereits über 100 Bundesligaspiele und viel internationale Erfahrung aufweisen. Ralf Rangnick lud aber alle Anwesenden gern und überraschenderweise dazu ein, ihm am Ende der Gesprächsrunde, erfahrene Spieler aus der Bundesliga zu nennen bzw. vorzuschlagen, die der Mannschaft nicht nur sofort weiterhelfen, sondern sie sogar verbessern könnten.
U23 ohne Zukunft
Die anwesenden Fans bekamen auch noch einmal eine interessante Statistik vom Sportdirektor zu hören, die noch einmal untermauern sollte, warum es zwar eine schwere aber richtige war, die U23 aufzulösen. 83% aller Spieler, der letztjährigen Viertelfinalteilnehmer in der Champions League haben bereits im Alter von 17 Jahren im Männerfußball gespielt. Folglich ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Spieler, der im Alter von 19/20 Jahren noch in der vierten Liga spielt, später noch den Sprung auf das mittlerweile erreichte Erstliga- und internationale Niveau schafft, verschwindend gering. Daher müssen Toptalente schon frühestmöglich, am besten schon mit 17 in der ersten Mannschaft mittrainieren und mitspielen. Sportlich tolerierbar bzw. sinnvoll wäre eine U23 daher nur gewesen, wenn man sie mit aller Macht in die 3.Liga gebracht hätte. Da dies aber gleichbedeutend mit jeder Menge Fragen hinsichtlich Sicherheit, Infrastruktur und nicht zuletzt einem hohen (auch finanziellem) Ressourceneinsatz einhergegangen wäre, hat man sich dagegen entschieden.
Nicht mehr in 30 Jahren
Auf die Frage, wie lange er vielleicht noch aktiv für RB Leipzig sein könne, schloss er natürlich mit einem Augenzwinkern aus, dass er in 30 Jahren noch in der Funktion ist. Aber er sieht es natürlich auch als seine Aufgabe an, „Wissen nicht zu horten“, sondern insbesondere auch zu vermitteln, um Aufgaben oder Funktionen ggf. auch überleiten oder zukünftig abgeben zu können. Ebenso ist bei ihm der Wunsch vorhanden, verdiente Spieler mit geeigneten Fähigkeiten perspektivisch weiter an den Verein zu binden. Tim Sebastian ist dafür ein gutes Beispiel.
Großartige Fankultur
Zum Ende hin richtete Ralf Rangnick seine Worte auch noch einmal an unsere Fanszene in ihrer Gesamtheit, die ihn persönlich begeistert. Der stets faire Umgang mit gegnerischen Fans und Mannschaften und das „selbst auf die Schippe nehmen“ in bspw. Gesängen findet er großartig. Dennoch sagte er auch, dass wir alle aufpassen müssen. Aufpassen, dass diese Kultur und diese Fanszene ihre Besonderheit, selbstironische Originalität und Kreativität erhält. Dinge, wie sie am Rande des Spiels Bremen gegen Hamburg passiert sind, dürfen niemals bei uns zugelassen oder toleriert, sondern auf schärfste bekämpft werden. Denn auch wir leben nicht „auf der Insel der Glückseligen“.
Die Transfer-(Geheim-)tipps der Fans
Am Ende wurden, so wie versprochen, noch die erbetenen „Geheimtipps“ der Fans bekanntgegeben und auf der rangnickchen Shortlist notiert. Bis auf den eher witzig gemeinten Ante Rebic, werden wir diese jedoch hier nicht öffentlich machen. Es sollen ja weiterhin Geheimtipps bleiben.
Einfach großartig
Noch ein paar abschließende Worte. Der Fanverband, die Fans bzw. Mitglieder und natürlich ich, die dieser Runde beiwohnen durften, dürfen sich beim Verein RB Leipzig und insbesondere bei Herrn Rangnick bedanken. So eine Veranstaltung in dieser (eher kleinen, überschaubaren) Runde, bei der man unseren Sportdirektor, den man sonst nur aus der Ferne oder aus dem Fernsehen kennt, so nah erleben, ungezwungen begegnen und mit ihm persönlich diskutieren konnte, ist wohl tatsächlich einmalig. Ich jedenfalls bin nachhaltig beeindruckt. Es war einfach großartig. Ralf Rangnick, sonst eher unnahbar wirkend, begegnete uns absolut offen, sehr sympathisch, wie immer (fach-)wissend und jederzeit auf Augenhöhe. Er konnte uns einfach alle begeistern. Man hatte den Eindruck, man befindet sich eher bei einem vertrauten Stammtischgespräch als bei einem offiziellen Termin. Meinetwegen (und ich war wahrlich nicht der einzige) hätte es noch die ganze Nacht weitergehen können. Und das Beste ist, man spürte irgendwie, dass es Ralf Rangnick genauso ging. Er lebt den Fußball und liebt es einfach, darüber zu sprechen und zu diskutieren. Selbst auch dann, wenn es ihm, eigentlich unbekannte Fans sind. Eines ist mir persönlich noch einmal ganz stark bewusst geworden: Trotz schlechter Ergebnisse in den letzten Spielen und vielerlei (vermeintlicher) Probleme, die wir Fans oder auch ich zu erkennen glaubten oder tatsächlich sogar existieren, können wir sicher sein und darauf vertrauen, dass unser Sportdirektor alles im Fokus und im Griff hat.
Kurz gesagt: Es war eine wirklich gelungene, unvergessliche Veranstaltung. Vielen Dank und gerne mehr davon!
Autor: Justgroovy
Quelle: http://www.rb-fans.de/artikel/20180301-special-rangnick-fanverband.html